Brennabor Ballonrad

Um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert gab es in der Radsprotszene zwei große Streitfragen:

  1. Hochrad oder Niederrad
  2. Hochdruckreifen oder Niederdruckreifen

Immer wieder traten die Vertreter der jeweiligen Fraktionen gegeneinander an. Das Rennen zwischen Hoch- und Niederrädern war relativ rasch entschieden. Die großen Hochräder, die mittels einer Tretkurbel am riesigen Vorderrad angetrieben wurden, waren zwar eleganter, denn ihre Fahrer*innen saßen gewissermaßen „über den Dingen“, doch in Fragen der Handhabung und Sicherheit waren sie den Rädern mit den zwei gleich großen Rädern und Übersetzungsantrieb hoffnungslos unterlegen.

Die zweite Frage war schon etwas schwieriger zu beantworten. Im 1899 eröffneten Radsportpark Brandenburg an der Havel wurden zahlreiche nationale und internationnale Wettbewerbe ausgetragen. Daneben gab es auch Rennen, um technische Neuerungen auszuprobieren. Der Kampf Hoch- gegen Niederdruckreifen konnte hier allerdings nicht endgültig entschieden werden.
Letztlich stellte sich heraus, dass es in dieser Frage keine allumfassende Antwort geben konnte. Bei den Bahnrennen in geschlossenen Hallen, wie dem berühmten Berliner Sechs-Tage-Rennen erwiesen sich die Hochdruckreifen mit ihren geringen Durchmessern als die bessere Wahl, da ir Rollwiederstand geringer war. Bei den großen Touren auf Landstraßen und Feldwegen und bei Rennen auf Beton- und Erdbahnen waren es die Reifen mit großen Durchmessern und niedrigerem Luftdruck, die zum Erfolg führten. Sie waren weniger empfindlich und Stöße wurden weniger stark an den Fahrer weitergegeben.

In der Patentschrift, die den Gebr. Reichstein Brennabor-Werken 1930 in der Schweiz ausgestellt wurde, heißt es: „Erstens dürfen Unebenheiten der Fahrstraße den leichten Lauf nicht hemmen. Um das zu ereichen, wird eine Hebung des Schwerpunktes von Fahrer und Fahrrad, die an sich durch Unebenheiten der Straße entstehen würden, verhindert, und zwar dadurch, daß Luftreifen Anwendung finden, die unter verhältnismäßig geringem Druck stehen und die so groß bemessen werden, daß die Felegn beim Überfahren von Unebenheiten nicht aufstoßen. […] Nach der Erfindung sollen die sogenannten Ballonreifen der Fahrräder einen äußern Durchmesser von solcher Größe erhalten, daß die beim Fahren aufzuwendende Beschleunigungsarbeit nicht größer als beim alten Hochdruckreifen wird.“

Zeichnung aus der Schweizer Patentschrift, Juni 1930

Die Erfahrungen aus dem Rennsport setzten die Brennabor-Werke bei ihren Alltagsrädern um. Niemand wäre auf die Idee gekommen, die Kopfsteinpflasterstraßen und Chausseen mit Kleinsteinpflaster mit einem Rennradreifen zu befahren. Dem Bedürfnis nach Bequemlichkeit und ALltagstauglichkeit kamen die Brennabor-Werke daher ab 1928 mit dem „Ballonrad“ entgegen. Gegenüber der Standardausführung war hier der Reifendurchmesser erhöht, so dass mit noch geringerem Luftdruck gefahren werden konnte. In der Werbung behauptete das Unternehmen sogar, dass diese Räder um 25% leichter und schneller laufen würden, als Räder mit Hochdruckreifen. Ob dies, wie behauptet, tatsächlich in „wissenschaftlichen und praktischen Versuchen von Ärzten und Fachleuten einwandfrei bewiesen“ werden konnte, darf allerdings bezweifelt werden.

 

 

Zur Quelle der Schweizer Patentschrift: https://depatisnet.dpma.de/DepatisNet/depatisnet?action=pdf&docid=CH000000148942A